Deutschland erkannte die Republik Estland de jure am 9. Juli 1921. an, was den Grundstein für formelle diplomatische Beziehungen legte.
Für das Jubiläumsjahr haben wir einen Zeitstrahl der Beziehungen zwischen Estland und Deutschland zusammengestellt. Es handelt sich um eine chronologische Galerie historischer Fotografien, Dokumente und Texte, die einen Überblick über die wichtigen Momente in der Beziehung zwischen den beiden Ländern im Laufe von 100 Jahren bietet.
Wir bedanken uns bei allen, die zur Sammlung von Fakten, Fotos und Dokumenten beigetragen haben!
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Gute Zeitreise!
Estnisches Außenministerium
Estnische Botschaft in Berlin
Deutschland geriet nach Ende des Krieges in einen Strudel von Revolutionen. Anfang Januar fand der sogenannte Spartakusaufstand statt und am 19. Januar wurde die Nationalversammlung gewählt, deren Tätigkeit zum Inkrafttreten der Verfassung der Weimarer Republik am 14. August 1919 führte. Sowohl in Estland als auch in Deutschland genossen die Sozialdemokraten zu dieser Zeit die größte Unterstützung. Die führenden Persönlichkeiten der deutschen Sozialdemokraten waren Friedrich Ebert, der erste Präsident des Landes, und Philipp Scheidemann, der unmittelbar vor Kriegsende am 9. November 1918 die Deutsche Republik proklamierte. In Estland gab es sogar zwei sozialdemokratische Parteien: die Estnische Arbeiterpartei und die Estnische Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Parteichef der ersteren war Otto Strandman und Parteichef der letzteren Mihkel Martna, welcher bald der erste Vertreter Estlands in Deutschland werden sollte.
„Mit unserer Vertretung in Deutschland hatten wir kein Glück. Ein guter Geschichtenerzähler ist nicht immer der beste politische Repräsentant, insbesondere dann, wenn die Beziehung zu einem anderen Staat vor allem „kommerzieller“ Natur ist, welche bei Dichtern nicht sehr stark ausgeprägt ist, obwohl es für die regierende Mehrheit angebracht erscheint. Hoffen wir, dass wir vom Nachfolger bessere Ergebnisse erwarten können. Lettland hat seine Beziehung zu Deutschland lange mit einem besonderen Friedensvertrag verankert. Vielleicht haben der Krieg und die Besetzung Lettlands viel bittere Gefühle hinterlassen als bei uns. Als Ergebnis dieses Abkommens wurde Lettland von Deutschland bereits de jure anerkannt.“
Henkel, der deutsche Vertreter in Estland, bestätigte: „Deutschland würde sich freuen, wenn die leere Stelle des estnischen Repräsentanten in Berlin wieder besetzt würde. Er bestätigt, dass die Anerkennung Estlands de jure von deutscher Seite bereits bejaht wurde … Die estnische Nation ist reif für ein vollkommen unabhängiges Staatsleben.“
Die estnische Regierung arbeite derzeit an den grundlegenden Positionen, die Estland in einem zukünftigen (Handels-)Abkommen mit Deutschland festlegen möchte. Wenn sie damit fertig sei, würden sich beide Seiten vielleicht in Berlin treffen, um das Abkommen endgültig abzuschließen. Deutschland wäre somit in der Lage, Estlands Wunsch entgegenzukommen, den auch er, Botschafter Henkel, nachdrücklich unterstützt habe, Estland de jure anzuerkennen, damit das Abkommen zwischen zwei selbständigen und unabhängigen Staaten geschlossen werden könne.“
Werner Otto von Hentig war vor dem Weltkrieg in den deutschen Auslandsdienst eingetreten. Er wurde mit einer Spezialmission in Afghanistan beinahe weltberühmt, bei der er verhindern konnte, dass das Land auf alliierter Seite in den Krieg eintrat. Es folgte anschließend eine beschwerliche Flucht durch China in die Vereinigten Staaten von Amerika. Nach Berichten estnischer Zeitungen nahm seine Gesundheit während dieser Reise Schaden und er war in Tallinn als ziemlich nervöser Mann bekannt. Hentig heiratete Natalie von Kügelgen, die Tochter des in deutschbaltischen adligen Kreisen bekannten Chefarztes des Seewald-Krankenhauses, Kügelgen, . Nach diplomatischer Gepflogenheit durften Vertreter nach einer Heirat mit einem Bürger des Gastlandes ihr Amt als offizieller Vertreter in diesem Land nicht fortführen, sodass Hentig bereits 1923 von seiner Stelle als Vertreter in Tallinn zurücktreten musste.
Beim ersten Besuch im Juni 1923 konnte der estnische Staatsälteste aufgrund zufälliger Umstände das Beglaubigungsschreiben nicht entgegennehmen, doch die Abreise des Gesandten war bereits geplant. Bei der feierlichen Übergabe seines Beglaubigungsschreibens am 14. Juli 1923 betonte der zuvor in der Rechtsabteilung des deutschen Auswärtigen Amtes tätige Gesandte Wedding, wie gern er dies in einem Moment tue, zu dem zwischen Estland und Deutschland ein Einvernehmen über Zahlungen und über ein Handelsabkommen erzielt wurden.
Tatsächlich wurde im Frühjahr 1923 nur ein vorübergehendes Handelsabkommen vereinbart, da dies mit der Forderung verbunden war, die ehemaligen Grundbesitzer finanziell zu entschädigen. Beide Themen standen in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern weiterhin auf der Tagesordnung.
Diesem Gesetz nach durften die nationalen Minderheiten Estlands kulturelle Selbstverwaltungen bilden. Die deutsche Gemeinschaft gründete eine solche noch im selben Jahr, welche bis zu ihrer Liquidation am 22. Dezember 1939 bestehen blieb. Das 1925 verabschiedete Gesetz über die kulturelle Selbstverwaltung der nationalen Minderheiten ermöglichte es ethnischen Minderheiten mit mindestens 3000 Vertretern, eine öffentlich-rechtliche nationale kulturelle Selbstverwaltung einzurichten. Die Zugehörigkeit zu einer kulturellen Selbstverwaltung basierte auf der Aufnahme in eine nationales Verzeichnis. Grundlage hierfür war der freie Wille einer Person zur Bestimmung der eigenen Nationalität. Im Rahmen der kulturellen Selbstverwaltung bestand das Recht, über die Verwaltung und Überwachung öffentlicher und privater Bildungseinrichtungen, Kultur-, Sport- und Jugendfragen der Minderheitenbevölkerung zu entscheiden. Ebenso wurden öffentliche Schulen für ethnische Minderheiten aus dem Staatshaushalt finanziert. Neben den Deutschbalten verfügten vor dem Zweiten Weltkrieg auch die Juden über eine kulturelle Selbstverwaltung.
Der neue deutsche Gesandte Wolfgang Frank bestätigte bei der Übergabe seines BeglaubigungsschreibensVollmacht, dass er „mit Genugtuung sehen kann, dass dies in dem Moment geschieht, in dem die Beziehungen zwischen meinem Vaterland und der Republik Estland nach Abschluss verschiedener Abkommen an Tiefe gewonnen haben.“
Der studierte Jurist Frank war zuvor deutscher Konsul in Südafrika und Polen gewesen und hatte für das Außenministerium gearbeitet.
Am 26. September fand eine Sitzung der estnischen Regierung statt, auf der beschlossen wurde, den Forderungen der Sowjetunion nachzukommen, da bereits abzusehen war, dass ausländische Hilfe nicht zu erwarten war.
Am 28. September wurde zwischen der Republik Estland und der Sowjetunion der Beistandspakt bzw. der Basenvertrag unterzeichnet. Gemäß der ursprünglichen Vereinbarung wurden zunächst 25.000 Soldaten in Estland stationiert, ziemlich schnell stieg diese Zahl jedoch auf ein Vielfaches an. Schließlich wurde die estnische Regierung bei der Stationierung zusätzlicher Truppen nicht mehr um Erlaubnis gebeten. Die estnische Armee bestand zu dieser Zeit aus etwa 15.000 Soldaten.
Am 15. Oktober wurde in Tallinn das Abkommen zwischen Deutschland und Estland über die Umsiedlung der in Estland ansässigen Deutschen unterzeichnet. Die Verfahrens- und Rechtsfragen zur Umsiedlung der Bevölkerung deutscher Herkunft aus Estland wurden zwischen Estland und Deutschland abgestimmt.
Um den Vertrag zu erfüllen, wurde eine Treuhand-Verwaltung gebildet, die begann, das Vermögen der umgesiedelten Deutschen zu registrieren, zu übernehmen und zu liquidieren sowie sich um die Organisation von Schulden und Verbindlichkeiten zu kümmern. Die estnische Regierung hatte das Recht, ihren eigenen Treuhänder für die deutsche Treuhandregierung zu ernennen. Letzterer hatte das Recht auf ungehinderten Zugang zur Treuhand-Verwaltung und konnte Entscheidungen, bei denen er die Zustimmung verweigerte, dem estnisch-deutschen gemischten Ausschuss zur Prüfung vorlegen.
Die neue Regierung der Sowjetrepublik Estland befahl, alle estnischen Botschaften, Konsulate und Honorarkonsulate zu liquidieren und ihr Vermögen an die Vertretungen der Sowjetunion vor Ort zu übertragen.
Bis zum 25. August hatten alle ausländischen Botschafter Estland zu verlassen.
„Wir haben die Arbeit bis zum 9. August fortgesetzt, und es gab viel Arbeit. Wir mussten die ganze Zeit Überstunden machen. Ich war fast jeden Abend bis um acht dort. Die Spannung hielt an, da nun alle versuchten, eine Bescheinigung über die Entlassung aus ihrer Staatsbürgerschaft zu erhalten. Wir warteten Tag für Tag auf das, was passieren würde. Da unser unabhängiger Staat liquidiert worden war, wurde bekannt, dass auch die Botschaft liquidiert werden würde“, erinnerte sich Tamara Kask-Skolimowska, die im Sommer 1940 als Sekretärin in der Botschaft arbeitete.
Hören oder lesen Sie Tamara Kask-Skolimowskas Erinnerungen an die Übergabe der Botschaft an die Vertreter der russischen Botschaft und die Zeit, in der sie in Berlin arbeitete: „Ungeschriebene Memoiren“ („Kirjutamata memuaare“, auf Estnisch, ab Minute 12)
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Stadtteil Tiergarten Teil des britischen Sektors. Da Großbritannien die Besetzung der Sowjetunion jedoch nicht anerkannte, blieb der Eintrag im Berliner Grundbuch unverändert – Eigentümer des Gebäudes Hildebrandstraße 5 war die Republik Estland. Die Besatzungsbehörden beauftragten die Berliner Stadtregierung, das Gebäude zu verwalten. Diese beauftragte wiederum einen Anwalt, der es „in Abwesenheit des Eigentümers“ als Mietshaus führen sollte. Der Eintrag im Berliner Grundbuch blieb unverändert – Eigentümer des Gebäudes Hildebrandstraße 5 war die „Republik Eesti“.
Seit 1991 ist die Republik Estland wieder der volle Eigentümer des Hauses mit sämtlichen damit verbundenen Verpflichtungen. Der letzte Mieter verließ im Mai 1999 das Gebäude und im August 2000 begannen nach einer langen Vorbereitungsphase die Umbauarbeiten.
Seit dem 1. Juni 2001 beherbergt das Gebäude die Büros der Botschaft der Republik Estland sowie die Residenz des Botschafters.
Eines der bekanntesten und größten estnischen Lager in Deutschland befand sich in der amerikanischen Zone in Geislingen. Die Deutschen mussten für die Esten gleich mehrere Stadtteile freimachen: Im Frühjahr 1946 lebten bereits 4.500 Esten in Geislingen. Die Stadt hatte einen estnischen Kindergarten, eine Grundschule, ein Gymnasium und eine Industrieschule sowie verschiedene Werkstätten. Es gab ein Theater, in dem Operetten, Ballette, Puppentheater und Schauspiele aufgeführt wurden. Ein Männerchor und ein gemischter Chor gaben Konzerte. Unter Leitung von Dirigent Roman Toi wurden Sängerfeste abgehalten. In Geislingen arbeiteten mehrere berühmte Künstler wie Peet Aren und Endel Kõks sowie bekannte Schriftsteller wie Henrik Visnapuu und Pedro Krusten. Es gab Sportwettkämpfe und es erschienen die Zeitung „Eesti Post“ sowie Lehrbücher und andere Literatur. Geislingen betrieb auch eine eigene Poststelle. Für Ordnung sorgte die Lagerpolizei. In Geislingen konnte man u. a. sogar einen estnischen Arzt aufsuchen – es gab praktisch alles, was man in einer kleinen Stadt benötigte.
Im Oktober 1946 begann die Esten allmählich, Deutschland zu verlassen. England und Kanada waren die ersten Länder, die ihre Türen für die Weiterreisenden öffneten.
Weitere Informationen: https://www.arvopart.ee/arvo-part/pikk-elulugu/
Die hinter der Berliner Mauer abgeschirmte Deutsche Demokratische Republik lebte in einer Illusion von Sozialismus und Wohlstand, während die Produktivität sank und das Land wirtschaftlich deutlich hinter dem Westen zurückgeblieben war. Der Plan, Deutschland zu vereinen, schien unmöglich, da es kaum möglich war, einen praktikablen Kompromiss zwischen Demokratie und Totalitarismus zu finden.
Der Fall der Berliner Mauer in der Nacht zum 10. November 1989 symbolisierte das Ende einer Weltära. Für die Deutschen war die sehr lange Nachkriegszeit vorbei. Familien und Freunde, die seit 28 Jahren voneinander getrennt waren, kamen wieder zusammen. Auch für Estland hatte dieses Ereignis eine sehr wichtige Bedeutung.
Mit dem Kalten Krieg endete die Konfrontation zwischen dem demokratischen Westen und dem totalitären Osten, da das von der Sowjetunion gegründete Weltsystem unfähig war, weiterzubestehen.
Das Ende dieser Konfrontation führte zur deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990.
Henning von Wistinghausen wurde 1936 in Kopenhagen geboren. Er stammte aus einer in Estland ansässigen deutschbaltischen Familie und war zwischen 1991 und 1995 Deutschlands erster Botschafter in Estland. Henning von Wistinghausen war 36 Jahre im Deutschen Auslandsdienst tätig, unter anderem als Generalkonsul in Leningrad und Botschafter in Kasachstan und Finnland. Henning von Wistinghausen veröffentlichte mehrere Schriftwerke, darunter „Im freien Estland. Erinnerungen des ersten deutschen Botschafters 1991–1995“ (2004).
Tiit Matsulevitš wurde 1958 in Tallinn geboren. Nach seinem Abschluss an der Fakultät für Journalistik der Universität Tartu war Tiit Matsulevitš von 1982 bis 1991 dort Dozent und Leiter des Informationsdienstes. Ab 1991 war er im Dienst des Außenministeriums und von 1991 bis 1996 als estnischer Botschafter in Deutschland und beim Heiligen Stuhl tätig. Es folgte der Dienst als Botschafter in der Ukraine und in Russland.